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Hitler-Jugend (HJ) zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Von 1933 an betrieben die Nationalsozialisten eine systematische und konsequente Ausstattung der Schulen. Der nationalsozialistische Zugriff auf die Schulen erfolgte unmittelbar von oben, systematisch und konsequent sowie im gesamten Reich flächendeckend bis hin zu den einklassigen Landschulen. Fast alle Lehrkräfte waren während der NS-Zeit Mitglied im Nationalsozialistischen-Lehrerbund (NSLB). Er entwickelte sich zur alleinigen Lehrerorganisation im NS-Staat und bestand bis 1943. Im Februar 1943 wurde die NSLB im Zuge kriegsbedingter Vereinfachungsmaßnahmen offiziell „stillgelegt“ und damit faktisch aufgelöst.
Am 1. Dezember 1936 war die HJ durch Gesetz zur Organisation für „körperlich-geistige und sittliche Erziehung“ erklärt worden. Schon vorher hatte es Richtlinien für die Schaffung von Heimen der HJ gegeben. Am 16. Januar 1937 gab es einen Aufruf des „Führers“ zum Bau von Heimen im deutschen Reich. Darin heißt es: „Die Erziehung der Jugend ist eine der wichtigsten Aufgaben des nationalsozialistischen Staates. Ich erwarte daher, dass alle zuständigen Stellen die Hitler-Jugend in ihrem Bestreben, zweckmäßige Heime zu beschaffen, unterstützen.“ Das Jahr 1937wurde zum „Baujahr der HJ“ und durch den Reichsjugendführer Baldur von Schirach zum „Jahr der Heimbeschaffung“ erklärt. Es wurde Richtlinien erlassen, in jedem Gebiet der HJ-Organisation ein Gebietsbeauftragter ernannt, ein Propagandazug „Schafft Heime“ in Marsch gesetzt und eine Schriftenreihe „Grüner Dienst“ mit regelmäßigen Veröffentlichungen begründet.
Der zentralistische ausgerichtete NS-Staat richtete seine ganze Organisations- und Propagandaenergie auf dieses Projekt. Die Organisation war bemüht, die Jugendlichen mit geschickter Werbung zum freiwilligen Eintritt zu bewegen. Verstärkt stellte die HJ jedoch in den Folgejahren paramilitärische Übungen in den Mittelpunkt: Ein Training für diejenigen, die wenige Jahre später für Hitler in den Krieg ziehen werden. Spätestens von diesem Zeitpunkt an existierte in der HJ ein Mitgliedschaft- und Dienstzwang, der oft sogar mit Druck eingefordert wurde. Zentrales Machtmittel wurde die HJ, mit deren Hilfe die rassistische Ideologie in die heranwachsenden Jugendlichen „gesät“ wurde. Ideologische Konkurrenz wurde ebenso wenig geduldet wie politische, d. h., auch christliche Organisationen wurden mit Repressalien auf Kurs gebracht.
Worringer Zeitzeugen stellen sich ihrer NS-Familiengeschichte
Die Worringer HJ war gekennzeichnet von unterschiedlichen Lebenswelten, in denen die Jugendlichen aufwuchsen. Die drei Erziehungsinstanzen Familie, Schule und Kirche hatten einen großen Einfluss. Mit ihnen stand die Staatsjugend in ständiger Konkurrenz bei dem Versuch, ihren Totalitätsanspruch in der Erziehung der Jugend durchzusetzen.
Am 10. Januar 1939 weihte das NS-Regime in „feierlicher Weise“ in Worringen das sog. „Hitler-Jugendheim“ an der Hackenbroicher Straße ein. Die feierliche Einweihung an einem Sonntag wurde mit aller Pracht gestaltet, zu der die nationalsozialistische Organisation fähig war. Der Platz war mit Hakenkreuzfahnen und Fahnen der DAF (Deutsche Arbeits-Front) geschmückt. Die verschiedenen Jugendgruppen der HJ und das Trommler-Corps waren um die Fahnen angetreten. Gebaut wurde es unter Beteiligung des „Deutschen Jungvolks“ und der „Jungmädel“ (Jungen und Mädchen im Alter von 10 bis 14 Jahren) sowie der HJ (Hitler-Jugend, Jungen im Alter von 14 bis 18 Jahren) und dem BDM (Bund Deutscher Mädel, Mädchen im Alter von 14 bis 18 Jahren) für die Worringer Jugend. Die Mitglieder des Jungvolks wurden allgemein „Pimpfe“ genannt. Die Finanzierung erfolgte durch Zuschüsse des Landesjugendamtes der Rheinprovinz, der Stadt Köln, der Gemeinde Worringen (aus dem sog. „Ortsvermögen“) und der NSDAP sowie durch Spenden.
Obwohl das Jugendheim heute völlig anders genutzt wird, erinnert es doch an die unselige NS-Zeit mit ihrer Gleichschaltung aller gesellschaftlichen Bereiche, so auch der Jugenderziehung. Das Gebäude war als einfacher Ziegelbau errichtet worden und von außen in weißer Kalkfarbe gestrichen. Die Fenster hatten äußere Blenden aus Holz erhalten. Einheitlich vorgeschrieben war der HJ-Adler über dem Eingang. In jedem Raum hing jeweils ein Hitler-Bild. Hausmeister war der Worringer Paul Hüsch. Die Arbeiten wurden durchweg von örtlichen Handwerkern durchgeführt.
In den Gliederungen der HJ wurde eine Jugendarbeit geleistet, die rückblickend von Worringern, die sie selbst erlebt haben, durchaus ambivalent gesehen wurde. Einesteils gab es eine Menge interessanter Veranstaltungen, die Spaß machten und deshalb gerne besucht wurden. Es gab lustige Heimatabende mit Spielen und Gesang. Sport wurde betrieben, es gab Geländespiele mit Lagerfeuern am Rhein. Weniger beliebt waren die Märsche, Umzüge durch den Ort und die vormilitärische Ausbildung mit Appellen und Drill. Die Mädchen beschäftigten sich vorwiegend mit Musizieren und Handarbeiten. Spannungen gab es zwischen der Staatsjugend und der nach wie vor bestehenden Jugendarbeit der katholischen Kirche und der Sportvereine. Die kirchlichen Pflichten kollidierten häufig mit den absolutistischen Ansprüchen der Staatsjugend, besonders am Wochenende (Zwiespalt „Pimpf oder Messdiener“).
Der am 1. September 1939 beginnende Zweite Weltkrieg sorgte bald dafür, dass das Hitler-Jugendheim eine andere Nutzung erfuhr. Daneben wurde ca. 1941 auf dem Gelände an der Bitterstraße durch die Worringer Bauunternehmung Josef Reitz ein heute noch bestehender Tiefbunker (heute Gelände der Villa Maus) erbaut. Um die Jahreswende 1944 / 45 richtete der Sanitätsrat Dr. Hubert Bentler im Tiefbunker eine Lazarettstelle ein, da der Sanitätsbunker des St.-Elisabeth-Krankenhauses an der St.-Tönnis-Straße mit Verwundeten vollbelegt war. Nach Kriegsende wurde das ehemalige Hitler-Jugendheim weiterhin als „Heim der Jugend“ genutzt, eine städtische Jugendherberge bis Anfang der 1960er Jahre. Heute nutzt die evangelische Gemeinde das Haus als Gemeindehaus.
Quellenangaben
NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln EL-DE-HAUS
Festschrift zum 25. Jubiläum der Friedenskirche in Köln-Worringen, 26.02.1986
Jahrbuch Rhein-Kreis Neuss 2000 (1999) des „Kreisheimatbund Neuss e.V.“