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Sichtbares und Verborgenes - Epoche des Nationalsozialismus

von 1933 bis 1945 (Teil 1)

 

Worringer Zeitzeugen berichten

In den letzten Jahrzehnten rückt die sogenannte Alltagsgeschichte mehr in den Fokus der Geschichtswissenschaft und -didaktik. Historische Epochen werden nicht mehr ausschließlich unter dem allgemeinen Aspekt der nationalen Geschichte untersucht, sondern auch auf unterer Ebene ( Kommunen, Familien und Einzelschicksale) in Betracht genommen, die eine andere Sichtweise der „Betroffenen“ auf die damalige Wirklichkeit ermöglicht. Nach einem kurzen allgemein historischen Abriss werden demzufolge Berichte von Zeitzeugen aus der nationalsozialistischen Zeit in Worringen vorgestellt, die dies „vor Ort“ erlebt und auch erlitten haben.

Aufstieg des Nationalsozialismus

Obwohl Köln nicht als Hochburg der nationalsozialistischen Bewegung galt und die NSDAP sowohl in der Wahl von 1932 als auch vom 5. März 1933 deutlich unter dem Gesamtergebnis im gesamten Deutschen Reich abschnitt, ist es dennoch übertrieben, von Köln als einer Hochburg des Widerstandes zu sprechen. Die Ernennung Adolf Hitler zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 wurde zunächst passiv-konservativ zur Kenntnis genommen.


Nach der Wahl war die Machtergreifung nicht mehr aufzuhalten. Die NSDAP ging  in den ländlichen Gebieten verstärkt dazu über, in den kleinen und mittleren Orten Präsenz zu zeigen und Stärke zu demonstrieren. Dazu wurden regional SA-Einheiten zusammengezogen, die dann in geschlossener Formation durch die Dörfer marschierten. Das Gespür der Nazis für den „großen Aufritt“ wurde zunächst unkritisch auch als eine willkommene Abwechslung empfunden. Man denke z. B. an das im Juni 1938 geförderte Großspektakel der 650 Jahr-Feier der Schlacht zu Worringen.


 Solche Inszenierungen, die immer wieder Gelegenheit zu gezielten Gewaltausbrüchen boten, sorgten dafür, dass der jeweilige Ort für Stunden von der SA regelrecht beherrscht wurde und die normale Ordnung eines Dorfes, einer Stadt außer Kraft gesetzt war. Hinzu kamen die allgemeinen Strukturen wie Gleichschaltung von Vereinen und öffentlichen Einrichtungen, Parteiorganisationen, die den Alltag allerorts beherrschten, sowie beständiger Meinungsterror.

                                                                 

 

Ausgrenzung und Vernichtung

Mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler fanden alle jüdischen Emanzipationsbestrebungen in Deutschland ihr Ende. Die Nationalsozialisten konzentrierten sich nach ihrer Machtübernahme im abgestimmten Zusammenspiel von Terror und Propaganda zwar zunächst auf die Ausschaltung der politischen Opposition, doch ihre Politik zielte von Anfang an auf die rasche Ausgrenzung der Juden aus allen Gesellschafts- und Lebensbereichen im Deutschen Reich. Sie hofften anfangs, die "Judenfrage" durch "freiwillige" jüdische Auswanderung und Vertreibung zu lösen. Der ersten Welle staatlichen Terrors gegen jüdische Mitbürger im Frühjahr 1933, die unter großem Propagandaaufwand inszenierte Boykottaktion gegen jüdische Geschäfte, Warenhäuser, Anwaltskanzleien und Arztpraxen, wurde auch im Kölner Raum kein nennenswerter Widerstand entgegengesetzt. Dies galt auch für die 1935 unter dem Namen „Nürnberger Gesetze“ bekannten Rechtsverordnungen, die jüdische Mitbürgern faktisch vom normalen Leben ausschlossen und den nationalsozialistischen Rassenwahn in den Vordergrund rückte und auch für die Reichspogromnacht 1939.

Auch nachdem großen Teilen der jüdischen Bevölkerung klar war, dass es sich bei ihrer Entrechtung nicht um einen kurzen vorübergehenden Zeitraum handeln würde, kam jedoch für viele ein Verlassen Deutschlands aus mehreren Gründen nicht in Frage. Da waren zum einen die beträchtlichen finanziellen, organisatorischen und emotionalen Hindernisse, die sich vor Menschen auftürmten, zumal zahlreiche europäische Nachbarstaaten eine Immigration erschwerten. Wovon sollten Reise und Aufbau einer neuen Existenz bezahlt werden, zumal die Kapitalumwandlung in Devisen hohe Verluste mit sich brachte und die ab 1939 erhobene "Reichsfluchtsteuer" zu weitgehender Verarmung führen würde. Zum anderen betrachteten nahezu alle jüdischen Mitbürger Deutschland als ihr Heimatland und nicht wenige von ihnen wurden sich ihres „Jüdischseins“ erst bewusst durch die nationalsozialistischen Gesetze.

 

                                                           

  
Zeitzeugenbericht von Ludwig Lutz


„Dä Lud“, verstorben am 1. April 2017 im Alter von 89 Jahren, betrieb das elterliche  Installationsgeschäft auf der St.-Tönnis-Str. 49 .

„Im Jahr 1836 wurde in der Antoniusstraße ein Wohnhaus mit der Nummer 8 (heutige St.-Tönnis-Str. 49) erbaut. Besitzer war der Bäcker und spätere Wirt Paul Boes. Durch Eheschließung der Tochter Katharina mit dem Klempner Paul Lutz ging das Wohnhaus 1888 auf die Eheleute Katharina und Paul Lutz über. 1923 wurden die Fenster erneuert sowie der Giebel ausgebaut, wobei an und zwischen den beiden runden Giebelfenster jeweils ein Sechseckstern aus zwei übereinander gelegten gleichseitigen Dreiecken, ein Hexagramm also, auch als Davidstern bekannt, mittig in das Mauerwerk des Giebels eingefügt wurde.“
Anmerkung: Das Hexagramm war im Kulturkreis der Antike ein sehr verbreitetes Symbol und findet sich sowohl im Juden- und Christentum als auch im Islam und im Hinduismus. Im Judentum ist das Hexagramm-Symbol ab dem 7. Jahrhundert vor Christus nachweisbar. Im Frühmittelalter (5. Jahrhundert bis 920 nach Christus) erwarb das Hexagramm eine abwehrende Bedeutung und wurde gleichermaßen von Muslimen, Christen und Juden als Talisman gegen Dämonen und Feuergefahr verwendet. Man versah weiterhin Kirchengebäude, Bibelmanuskripte sowie christliche und jüdische Unterschriften auf amtlichen Dokumenten mit diesem Symbol.

                                                                              

„Im Jahr 1930 erfolgte im Erdgeschoss ein Umbau der Wohnräume zu einem Ladenlokal, welches von dem jüdischen Kölner Karl Schallenberg, der im Stadtgebiet Köln mehrere Lebensmittelmärkte betrieb, für das Lebensmittelgeschäft „KASCHA“ angemietet wurde. Dies war jedoch nur von kurzer Dauer. Systematisch wurde die Kundschaft durch Nationalsozialisten abgeschreckt, dort ihre Käufe zu tätigen. Sie brachten Plakate mit antisemitischen Aufschriften an: Parolen wie „Deutsche wehrt Euch, kauft nicht bei Juden!“ In ihren aufgestellten Infokästen stellte die NSDAP ein Foto des Lebensmittelgeschäftes „KASCHA“ aus und rief zu einem Boykott auf. Die Repressionen gegen den jüdischen Unternehmer zeigte insofern Wirkung und dieses Geschäft wurde von den Worringern beim Einkauf immer mehr gemieden.
Die Nationalsozialisten behaupteten überdies, dass die im Giebel angebrachten Davidsterne explizit für den jüdischen Mieter des Ladenlokals angebracht worden wären. Schallenberg löste in der Folge 1937 den Mietvertrag auf, verkaufte seinen Besitz und konnte rechtzeitig nach Palästina emigrieren.“
Anmerkung: 1947 Aufteilung in arabische und jüdische besiedelte Regionen, 1948 Gründung des Staates Israel.

„In der Nacht zum 16. Mai 1940 fand der erste Fliegerangriff auf  Worringen statt, bei der Scheune und  Stallungen des Großhofs an der St.-Tönnis-Straße, aber
auch angrenzende Häuser,  teils erheblich beschädigt wurden. Die Rundfenster des Gebäudes St.-Tönnis-Str. 49 erhielten bei der anschließenden
Wiederherstellung nicht mehr das Ornament des Sechsecksterns. Das Hexagramm-Symbol im Mauerwerk des Giebels bleibt jedoch noch bis 1971. Bei einer
Fassadenerneuerung wurde dies ebenfalls entfernt. Obwohl die Herstellung des Sechsecksterns bereits während des 1923 errichteten Giebels erfolgte, standen die
Nationalsozialisten weiterhin zu ihrer antijüdischen Hetzkampagne.“
 

                                      




                                                                                                
Hoch über dem Tal von Yad Vashem schwebt ein „Viehwagen“ der Deutschen Reichsbahn, mit dem Juden in die Vernichtungslager transportiert wurden. Die Gedenkstätte in Yad Vashem ist ein Ort, den man nach einem Besuch nie wieder vergessen kann.

 

Fortsetzung zur Epoche des Nationalsozialismus von 1933 bis 1945 folgt.

Literaturquellen
Historisches Archiv Stadt Köln / NS-Dokumentationszentrum Stadt Köln: Ausstellung „Jüdisches Schicksal in Köln 1918 - 1945“, Köln 1989

https://de.wikipedia.org › wiki › Nationalsozialismus
Anmerkungen sind rot markiert und kursiv gesetzt.

Abbildungsnachweise
Heimatarchiv Worringen

aus privater Sammlung

Bericht: Manfred Schmidt

heimatarchiv-worringen.de/August 2023