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  Wussten Sie schon … ?

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 Sichtbares und Verborgenes - Epoche des Nationalsozialismus

von 1933 bis 1945 (Teil 2)

Worringer Zeitzeugen berichten

Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus nach wie vor problematisch

Erst seit den 1970er Jahren vertiefen Schulen und andere Bildungseinrichtungen, Medien und Forschung die Kenntnisse über den Holocaust. Inzwischen ist mehr Wissen über die Zeit des Nationalsozialismus vorhanden. Doch eine Verknüpfung mit der eigenen Familien- oder der Lokalgeschichte findet dabei noch nicht notwendigerweise statt. Viele scheuen sich auch heute, nach dem Verhalten der Eltern und Großeltern zu fragen. Was sich durchgesetzt hat, ist eine öffentliche Erinnerungskultur, sind Institutionen, die sich um die deutsch-jüdische Geschichte und den Schutz der Sinti und Roma kümmern, die mehr als 75 Jahre nach Kriegsende noch Zeitzeugen befragen, Zeugnisse und Quellen suchen und die Geschichte dokumentieren.
Anmerkung:
Der Holocaust war der nationalsozialistische Völkermord an 5,6 bis 6,3 Millionen europäischen Juden während des Zweiten Weltkriegs, rund zwei Drittel aller damals lebenden europäischen Juden.

 Zeichen gegen das Schweigen und für die Aufklärung
Die 1921 gegründete Kölner  NSDAP verbreitete von Beginn an antisemitische Propaganda und zeichnete sich durch extreme Gewaltbereitschaft gegenüber politischen Gegnern aus. Obwohl schwächer als in anderen deutschen Regionen, gelangen auch der Kölner NSDAP 1930 der politische Durchbruch und im Jahre 1933 eine reibungslose Machtübernahme. Mit der Machtübernahme wurde der Terror gegen politische Gegner verstärkt und alle zur damaligen Zeit zur Verfügung stehenden Kommunikationswege genutzt, um die „braune Propaganda“ unter das Volk zu bringen. Wer nicht mitzieht, wurde diskriminiert, denunziert, verfolgt oder gar einer „Sonderbehandlung“ (Hinrichtung) unterzogen. Die Verwaltungsstelle der NSDAP Ortsgruppe Worringen war im Gebäude Hackenbroicher Str. 5, im Volksmund auch „Braunes Haus“ genannt, Ortsgruppenleiter war Pg. Josef Schlösser, Leiter des Kampfbundes Pg. Anton Daubenbüchel. Am 15. Mai 1933 fand die Fahnenweihe der Ortsgruppe unter starker Beteiligung der Worringer Bevölkerung statt.


                          Abb. 1   klein        


Ergänzung Worringer Heimatforscher Anton Leufgen (1861-1941)
„Beerdigung einer Vorkämpferin - Die noch junge Ortsgruppe Worringen der NSDAP hat durch den unerwartet am 20. Juni 1933 eingetretenen Tod der Parteigenossin Gertrud Daubenbüchel einen so schweren Verlust erlitten, wie er schwerer wohl nicht gedacht werden kann. Die Verstorbene war nicht nur ihren Parteigenossen stets mit Rat und Tat zu helfen bereit, sondern auch eine große Wohltäterin der Armen. Mit Recht nannte daher Bürgermeister Richard Schaller die Verstorbene in seiner Grabrede eine Mutter.
Die große Beliebtheit der Verstorbenen zeigte sich so recht durch die zahlreiche Teilnahme an der Beerdigung und die vielen Blumen und Kranzspenden. Es wurden über 100 prachtvolle Kränze an ihrem Grab niedergelegt. Noch nie hat Worringen eine solche ergreifende Beerdigung gesehen.“

Anmerkung:
Im März 1933 wurde Richard Schaller zum Bürgermeister des Kölner Bezirks Köln-Stadt ernannt. In diesem Amt war er bis 1938 maßgeblich dafür verantwortlich.

 

1933 werden Grundrechte außer Kraft gesetzt und Parteien, Institutionen, Verbände und Vereine aufgelöst oder „gleichgeschaltet“. „Gleichschaltung“ bedeutete, dass entweder Nationalsozialisten die Führung übernahmen oder sich die bisherigen Vorstände den nationalsozialistischen Zielen anpassten. Die Autonomie sämtlicher örtlicher Vereine wurde mehr oder weniger beschränkt. Hier lässt  sich auch nicht verleugnen, dass das als liberal und katholische geltende Köln eingenommen wurde, ohne auf den über durchschnittlichen Widerstand zu stoßen. „Gleichgeschaltet“ wurden  im Ort Worringen der „Bürgerverein“, der „Männergesangverein“, die „Dramatische Vereinigung“, der „Ballspielverein 1927 Köln-Worringen“, die „Heimstätten-Baugenossenschaft“, die „Karnevalsgesellschaft Eintracht“ und andere Vereine. Umgehend aufgelöst wurde ferner der „Volkschor Worringen“. Dokumente im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln EL-DE-Haus belegen, dass Vereine angehalten waren. „Abweichler“ der Gestapo zu melden, und von dieser Meldepflicht auch reger Gebrauch gemacht wurde.     
                                                                       
   


Am 21. 08.1927 erfolgte die Gründung einer „Vereinigten Karnevals-Gesellschaft“ aus dem vormaligen „Karnevals-Festkomitee-Worringen“. Die Vereinigung  organisierte unter ihrem Präsidenten Heinrich Peters (Mitglied der „KG Närrische Grielächer“) den Worringer Karneval bis 1933. Nachfolgend wurde aus der „Vereinigung“ der „Karnevals-Festausschuss“. Präsident blieb weiterhin Heinrich Peters, der die Zusammenarbeit fortsetzte. Im Jahre 1936 fand die Umstrukturierung mit der neuen Bezeichnung „Festausschuss Worringer Karneval“ statt. Erster Vorsitzender wurde nunmehr der damalige Ortsgruppenleiter Josef Schlösser. Wenn auch dieser Festausschuss augenblicklich gegebenenfalls mit mehr Möglichkeiten ausgestattet war, die NSDAP war jedoch schon seit 1933 tonangebend. Die Karnevalisten hatten sich zwar formal ihre Eigenständigkeit bewahrt, inhaltlich aber seinerzeit zugesichert, dass Kritik an NS-Funktionären nicht gewünscht sei.
"Die Durchführung dieses Festes ist eine wichtige Aufgabe für die Nationalsozialistische Gemeinschaft 'Kraft durch Freude'", verkündete einst Dr. Robert Ley, Leiter der Deutschen Arbeitsfront, "bestehen doch große Möglichkeiten, Lebenswerte für unser Volk lebendig werden zu lassen, die es weiterhin in seinen seelischen Kräften gesund und wirklich gemeinschaftsverbunden machen."

 

                                                 
 

Auf der 11. im 11.-Feier 1930 wurde Anton Weißenberg von der „KG Immerfroh“ als kommender Prinz vorgestellt. Wegen „politisch gelenkter“ Seite sowie umfassender Arbeitslosigkeit und Geldknappheit fand unmittelbar kein gemeinsamer Rosenmontagszug statt. Dessen ungeachtet veranstalteten jedoch alle Karnevals-Gesellschaften ihre einzelnen traditionellen Umzüge. Die bestehende Weltwirtschaftskrise beeinflusste das Vereinsleben in hohem Maße. Letztlich bestieg Weißenberg auf der Proklamation an Weiberfastnacht 1933 als Prinz Antonius I. den Prinzenthron. Das Rosenmontagszugmotto lautete „Ausgemeindung und Verkehr Worringen - Köln“. Prinz Antonius I. hatte seine närrische Herrschaft über Worringen in 1933 noch nicht so recht eingereiht, als sich auch im Ort ein politischer Wandel vollzog. Nach der diktatorischen  „Machtergreifung“ durch die NSDAP wurden zugleich organisatorische und strukturelle Veränderungen im hiesigen Vereinsleben mit sich gebracht. Es war daher für die Vereine schwierig, sich der politischen Gleichschaltung zu entziehen und die Rosenmontagszüge nicht zum Träger und Propagandisten des politischen Ungeistes missbrauchen zu lassen. Jedoch ist auch an vielen Stellen zu entschlüsseln, dass die Karnevalisten sich dem Zugriff der NSDAP zu entziehen verstanden. 

Auch wenn die Ortsbehörden anfangs in manchen Fällen solange wie möglich Anweisungen der Parteizentralen verzögerten, weil die neue menschenverachtende Ideologie und bisheriges dörfliches Miteinander noch nicht miteinander vereinbar schienen, so setzte sich doch recht schnell das „Führer befiehl, wir folgen dir“-Prinzip durch. Auf dem Gebiet der Verfolgungspolitik lassen sich keine nennenswerte Gegensätze zwischen den Kommunen und den örtlichen Parteistellen ausmachen, die sich ansonsten Konflikte lieferten. Daher ist das Bild von einem Gegensatz zwischen der "alten Bürokratie" und der neuen NSDAP-Bürokratie, wie es in der älteren Literatur entwickelt wurde, in Frage zu stellen. 

Zeitzeugenbericht von Maria Esser

„Schmette Marie “, verstorben am 2. November 2019 im Alter von 93 Jahren, war die Tochter von Caspar Nelles und Gertrud Dünwald.
 „Mein Vater war Schmiedemeister und führte einen selbständigen Betrieb mit Gesellen und Lehrlingen. Die ursprüngliche Schmiede befand sich seit 1863 an der heutigen St.-Tönnis-Str. 27 zunächst als Schmiede von Franz Nelles später Caspar Nelles. Ehemals war das Anwesen ein Dreikanthof.
 
 

Im Bergerhof, Gutsbesitzer war Friedrich (gen. Fritz) Heusgen, hielte sich im Jahr 1934 u. a. die polnisch jüdische Familie Jaskula auf, welche als Arbeitskraft im Haushalt sowie landwirtschaftlichen Betrieb eingesetzt wurde. Ihre Tochter Cäcilia besuchte zu Beginn des Schuljahres unsere Worringer Mädchenschule an der „Alte Neusser Landstraße“. Am Religionsunterricht nahm sie wegen jüdischer Glaubenszugehörigkeit nicht teil. Nach etwa 6 Wochen erschien die Klassenkameradin nicht mehr zum Schulunterricht. Eine Begründung zu ihrer Abwesenheit wurde nicht verlautet. Die Familie Jaskula war - nach meiner Erinnerung - sodann in Worringen nicht mehr gesehen. Über ihren Verbleib ist nichts weiter bekannt, es fragte auch keiner nach.“
 Anmerkung des Verfassers:
„Die Bedrohungen und Verhaftungen nahmen zu. Raum für Andersdenkende gab es nicht. Regimegegner wurden von Anfang an eingeschüchtert, verfolgt und später evtl. in Konzentrationslagern interniert. Einige verließen deshalb schon bald das Land, wobei die primäre Trennlinie nicht zwischen Juden und Nichtjuden verlief. Emigration und Flucht sind zwar nicht das Gleiche, doch die Trennlinie zwischen beidem lässt sich schwer bestimmen.“

„Nachdem die deutsche Wehrmacht  am 1. September 1939 in Polen einmarschierte, mussten auf dem Schulhof vor Beginn des Unterrichts Mädchen wie Jungen in Reih und Glied mit erhobenem Arm sowohl das  Deutschlandlied als auch das „Horst-Wessel-Lied“ singen. Danach gingen wir in die Klassenräume.  Judenfeindliche Äußerungen fand man an verschiedenen Worringer Anschlägen, sogar an Haustüren und Klingeln mit ´Juden unerwünscht` oder ´Trittst du in dies Haus hinein, soll dein Gruß `Heil Hitler` sein`. Parteimitglieder versuchten immer wieder meinen Vater zu überreden und von dem NS-System zu überzeugen. Doch er meinte: „Ich han die Pooz fresch gestreche, schrief et drop!“  Ich hatte qualvolle Angst um meinen Vater, zumal man zwischenzeitlich einen Galgen auf dem „Zillikensplatz“, heutigen St.-Tönnis-Platz, angebracht hatte.“

Anmerkung des Verfassers:
„Eine durchgängige Untersuchung im  NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln EL-DE-Haus hatte ergeben, dass dort keine bestehenden Hinweise auf jüdisches  Leben in Worringen vorliegen. Zum Stadtkreis Köln existieren zwar nach Nachnamen sortierte Gemeindelisten über jüdische Residenten aus der NS-Zeit, in der  jedoch „keine Treffer“ zu ermitteln waren.  Zwecks weiterer Nachforschungen hat das NS-DOK  hierzu dem Heimatarchiv weitere Hilfeleistungen zu Primärquellen sowie Einblicke in ihrer Bibliothek angeboten.“
 

                                                                              

  „Später wurden polnische Kriegsgefangene zwangsweise rasch nach Deutschland gebracht. Mein Vater nahm zwei Polen, Kasimir und Stanislaus, in seinen Betrieb auf. Da Kasimir zu den Volksdeutschen zählte, gab es für ihn die Möglichkeit, eine Gaststätte aufzusuchen, die nur für diese Zwangsarbeiter ausgewiesen war. Kasimir nahm  mich als kleines Mädchen öfters mit - ich war bei vielen Polen „Hahn im Korb“. Stanislaus musste leider im Gefangenenlager verbleiben. Wir hatten zu ihnen ein freundschaftliches Verhältnis und gutes Einvernehmen, was dann auch später über den Zweiten Weltkrieg hinaus bestand.“

Fortsetzung zur Epoche des Nationalsozialismus von 1933 bis 1945 folgt.

Literaturquellen
Chronik des Worringer Karnevals, Toni Müller, 1966

Historisches Archiv Stadt Köln / NS-Dokumentationszentrum Stadt Köln: Ausstellung „Jüdisches Schicksal in Köln 1918 - 1945“, Köln 1989
Bundeszentrale für politische Bildung, Kapitel 7 Nationalsozialismus, Kommunen und NS-Verfolgungspolitik, Rüdiger Fleiter, 2007

https://de.wikipedia.org › wiki › Nationalsozialismus
Anmerkungen sind rot markiert und kursiv gesetzt.

 Abbildungsnachweise
Heimatarchiv Worringen

aus privater Sammlung

Bericht: Manfred Schmidt

heimatarchiv-worringen.de/Dezember 2023